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Der rebellische Bauch

 

 

Gerade heute wurde Maria von der lästigen Regel heimgesucht, an ihrem wichtigsten Tag des Jahres. Als Betriebswirtin eines internationalen Konzerns hatte man ihr die Verhandlungen zu einem fulminanten Geschäftsabschluss anvertraut und ausgerechnet vor diesem bedeutsamen Meeting kommt diese olle Tante zu Besuch. Ihr war hundsmiserabel zumute und sie krümmte sich vor Regelkrämpfen. Verdammt!

 

 

Ihre Loyalität zum Unternehmen und ein strategisches Verhandlungsgeschick manövrierten sie in kürzester Zeit bis zur Stelle der Verkaufsleitung hinauf. Und nun machte es den Anschein, als könnte eine lächerliche, unnütze Periode dieses Unternehmen gefährden.

Ihr Unterbauch fühlte sich an, als würde er zerbersten, ihre Brüste waren angeschwollen und sie hatte Mühe ihre Füße in die neu erworbenen Riemchensandalen zu pferchen. Der Blick in den Spiegel sprach Bände über ihr derzeitiges Befinden, doch darüber konnte sie sich nun wirklich keine Gedanken machen. Sie war ohnehin schon viel zu spät dran und musste sich sputen, um rechtzeitig in den Konferenzraum zu gelangen.

 

 

Am Weg durch das Foyer des Hotels passierte dann das Unvermeidbare. Von mächtigen Krämpfen durchdrungen, krümmte sie sich vor Schmerzen. Sie erkannte sehr rasch, dass  ihr Kreislauf nicht weiter standhalten würde. Nur noch ein einziger Gedanke war vorherrschend: „Gott, ich muss mich irgendwo hinlegen, bevor ich umkippe.“ Und da kam bereits ein besorgter Hotelpage zu Hilfe, der Maria seinen Arm anbot und sie zur nächstgelegenen Ledercouch führte. Wie peinlich! Alle Gesichter der Hotelgäste waren auf sie gerichtet, während sie an einem erfrischenden Glas Wasser nippte und dabei zwei Schmerztabletten runterspülte, die sie umsichtiger Weise immer bei sich trug. Mit den Worten: „Nein danke, ich brauche keine Hilfe! Sobald es mir etwas besser geht, gehe ich zurück in mein Hotelzimmer.“,  versuchte sie die peinliche Situation zu beschwichtigen. Gesagt, getan. 

 

 

Im Zimmer angelangt, fühlte sich Maria neben den krampfartigen Regelschmerzen plötzlich ungemein einsam und verlassen. Sie konnte kaum ihre Tränen zurückhalten. Alles verlor an Sinn. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob es die Wut über den geplatzten Geschäftstermin war oder die Einsamkeit in ihrem Herzen, das sie plötzlich so traurig stimmte. Wenigstens zeigte Fawzia, die Assistentin ihres potentiellen Großkunden, Mitgefühl am Telefon, als sie ihre derzeitige Lage beschrieben hatte. Ihrem empathischen Wesen war es zu verdanken, dass der Termin auf den nächsten Tag verschoben werden konnte, ohne dabei gegenüber dem Verhandlungspartner einen unprofessionellen Eindruck hinterlassen zu haben.

 

Fawzia´s verständnisvolle Worte wirkten auf Maria beruhigend und so versuchte sie die kuschelige Atmosphäre ihres Hotelzimmers etwas zu genießen. 

 

Die Füße eingepackt in dicken Wollsocken und mit einer Wärmeflasche am Unterbauch begann sie zu sinnieren. Ihre Gedanken verloren sich in frühe Kindheitstage, wo das Leben noch so unbeschwert gewesen war.

 

Da war ihre Freundin Klara mit der sie unzählige Stunden mit Spielen verbrachte. Sie liebten Rollenspiele wie, Mutter Vater Kind oder Indianderspiele. Besonders gerne sahen sich die Beiden als berühmte Schauspielerinnen, die auch singen und tanzen konnten. Für jedes ihrer Spiele hatten sie eigene Kostüme, die sie durch Stöbern in Großmutter´s Kleiderschränken erworben hatten. An warmen Sommertagen richteten sie im Gerätehaus ihrer Großmutter eine Hexenküche ein, wo kräftig gezaubert und gebraut wurde. Der nahegelegene Teich lud an besonders heißen Tagen zum Baden ein. Runter mit den Kleidern und rein ins kalte Nass. Alles war so lebendig und leicht. Ja, sie hatte eine glückliche Kindheit.

 

Das Ende dieser heiter-unbeschwerten Zeit zeichnete sich ab, als sich ihr kleiner Körper zu verändern begann. Das Gesicht voller Pickel und die plötzlich sehr rasch fettenden Haare gaben ihr das Gefühl, unattraktiv und abstoßend zu wirken. Ihr zuvor drahtig-beweglicher Jungmädchenkörper wirkte plump und unpassend. An manchen Tagen kam ihr sogar der eigene Körpergeruch fremd vor. Wie hatte sie darunter gelitten.

 

Intuitiv erfasste sie damals als Zwölfjährige, dass Klara und sie nicht länger Kinder blieben, sondern zu jungen Frauen heranreiften. Sie fühlten sich einer Metamorphose ausgesetzt, die mit eigenartigen Berührungsängsten, Scham und Gefühlsinstabilitäten einhergingen.

 

Wie erschrocken war sie über diesen Umstand gewesen, als sie eines Morgens, eine Verhärtung an ihren Brüsten bemerkte. Sie getraute sich nicht mit ihrer Großmutter darüber zu sprechen. Irgendwie empfing sie damals das Unausgesprochene, nämlich, dass man über solche „Dinge“ nicht redete. Also hielt sie besser den Mund. Besonders der Tag der ersten Blutung war ihr gut in Erinnerung geblieben. Ihre Mutter gab ihr nur ein paar Binden in die Hand und meinte dazu: „Da hast du. Leg sie in dein Höschen, damit es nicht blutig wird.“ Das war´s dann auch schon.

 

Maria ertappte sich dabei, dass sie eben einen tiefen Seufzer losgelassen hatte. Die Erinnerung an ihre Jugend brachte sie wieder zurück zu ihrem aktuellen Problem und sie sah sich leidend in ihrem Bett liegen und  über Frauenthemen herumgrübeln, anstatt ein souveränes Verhandlungsgespräch zu führen.

 

Warum werden nur Frauen mit so lästigen Dingen konfrontiert? Bis zum heutigen Tag, zwei Tage vor ihrem 35. Geburtstag, machte ihr diese  „rote Tante“ nur Probleme. Zugegeben, eine Monatsblutung wäre eigentlich ein natürlicher Prozess, etwas ganz Normales! Aber warum empfindet man es dann als eine so lästige Sache?

Gerade als sie sich diese Frage gestellt hatte, läutete es an der Zimmertür. Wer könnte das wohl sein, in einem Land, wo niemand sie kannte? Etwas unbehende verließ sie das kuschelig warme Bett und guckte durch den Türspion. Dahinter befand sich Fawzia, die Assistentin ihres Verhandlungspartners. Sie wolle sich nur vergewissern, ob mit Maria auch alles in Ordnung sei. Während Maria ihr die Tür öffnete war sie selbst erstaunt,  wie wenig sie sich scheute, trotz ihrem legeren Pyjama-Outfit, dieser Frau Einlass zu gewähren. Ganz im Gegenteil, sie freute sich über diesen Überraschungsbesuch.

 

Fawzia, die weit älter war als Maria, hatte eine natürliche Ausstrahlung und zeigte einen vertrauenserweckenden Umgang mit Menschen.

 

 

Wie selbstverständlich bestellte Fawzia beim Zimmerservice einen wärmenden Kräutertee für Maria und während sie auf der gemütlichen Couch Platz nahm, meinte sie seufzend: „ Ja, das liebe Blut fordert eben seine Aufmerksamkeit.“ Dabei zeigte Fawzia ein warmherziges Lächeln und blickte Maria sanftmütig, aber direkt in die Augen.

 

Die beiden Schmerztabletten taten ihre Wirkung und Maria merkte, wie sie sich allmählich entspannte. Auch Fawzia´s Anwesenheit tat ihr gut. Wie zwei alte Freundinnen sprachen sie über sehr persönliche Dinge, als wäre dies unter Geschäftsleuten ganz selbstverständlich. Fawzia war in Bagdad aufgewachsen und erst im jungen Erwachsenenalter nach Frankreich ausgewandert. Sie wurde nach alter persischer Tradition erzogen. Vielleicht war das der Grund, warum sie so einen natürlichen Umgang mit Frauenthemen pflegte. 

 

Die angenehme Gesprächsbasis unter den Beiden veranlasste Maria dazu, ihrer Gesprächspartnerin eine sehr intime Frage zu stellen:

 

„In Europa gehen wir, wie Sie wissen, mit dem Frau-sein sehr verklemmt um. Mädchen schämen sich für ihr Äußeres und fühlen sich oft allein gelassen, wenn sie zur Frau werden. Mütter ergreifen oft nur dann helfend unter die Arme, wenn die Gefahr einer Schwangerschaft besteht, um ihren Töchtern die Pille verschreiben zu lassen. Das zeigt doch, dass selbst die Mütter überfordert sind. Viele der Frauen leiden ohnehin ein halbes Leben lang an Menstruationsschmerzen und gefühlschaotischen Zuständen. Wie gehen Frauen im Orient damit um?“

 

Fawzia lehnte sich zurück und hielt einen langen Atemzug inne. Mit einem sanften Lächeln auf ihren Lippen schweifte ihr Blick an die Zimmerdecke.

 

Währenddessen bemerkte Maria, dass es ihr rebellischer Bauch war, der sie in diese angenehme Atmosphäre gehievt hatte. Beinahe mit einer kindlichen Neugierde wartete sie auf die Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau. Und so begann Fawzia zu erzählen:

 

„Ich wuchs, für europäische Verhältnisse, in einer ganz besonderen Familie auf.“

 

Hier meine Geschichte: